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Erinnerungen auf den Bürgersteigen: Eine Reise durch die Geheimnisse der Straßen von Lichtenberg

Wenn wir durch die Straßen von Lichtenberg spazieren, achten wir normalerweise nicht besonders auf die Straßenschilder. Zu Unrecht. Sehr oft bewahren Straßennamen einen Teil der Geschichte der Stadt und manchmal auch die Erinnerung an Ereignisse oder lustige Begebenheiten.

Die Toponymie der Stadt hat sich über Jahrhunderte hinweg entwickelt: von alten slawischen Namen bis hin zu modernen Namen historischer Persönlichkeiten, die wir heute auf den Straßenschildern an Kreuzungen sehen.

Selbst die Namen der Stadtteile von Lichtenberg sind geschichtsträchtig. Malchow beispielsweise erinnert an die Slawen, die hier in längst vergangenen Zeiten lebten. Alt-Hohenschönhausen verweist auf die ersten deutschen Siedler, die aus fernen germanischen Ländern hierher kamen. Und Falkenberg deutet auf die Lieblingsbeschäftigung der ersten Kurfürsten hin – die Falknerei.

Anfangs waren die Straßen einfach nur Wege und wurden nach ihrer Richtung benannt: Die Frankfurter Allee führte nach Frankfurt an der Oder, die Köpenicker Straße nach Köpenick usw. Mit der Zeit wollten adelige Familien ihre Namen in den Ortsnamen verewigen – so entstanden die Treskoverstraße und die Dönhoffstraße. Die Zeit der Aufklärung bereicherte das Stadtbild um Namen von Schriftstellern, Künstlern, Musikern und Philosophen. Und natürlich haben auch die Könige von Preußen ihre Spuren auf der Karte hinterlassen: So wurde beispielsweise der Stadtteil Rosenfelde zu Beginn des 18. Jahrhunderts zu Friedrichsfelde und ist uns unter diesem Namen bis heute bekannt.

In der DDR-Zeit wurden neue, „ideologisch korrekte“ Namen für Straßen und Plätze benötigt – man orientierte sich dabei am Vorbild der UdSSR. Auf den Schildern tauchten Namen von Helden, Revolutionären, Antifaschisten und natürlich Parteiführern auf. Um die „unzerbrechliche Freundschaft der Völker der sozialistischen Länder“ zu unterstreichen, erhielten neue Stadtteile in Friedrichsfeld die Namen von Seen aus sozialistischen Ländern: Balaton, Baikal, Schwarzes Meer und andere. Nach der Wiedervereinigung Deutschlands kamen noch die amerikanischen Seen Michigan und Ontario hinzu. So spiegelten sich die politischen Veränderungen sogar in der Toponymie wider.

In letzter Zeit wird immer häufiger über die Gleichstellung der Geschlechter bei Straßennamen diskutiert – schließlich tragen die meisten von ihnen männliche Namen. Wenn Sie jedoch durch die alten Gassen rund um den Orankesee im Stadtteil Alt-Hohenschönhausen spazieren, werden Sie überrascht feststellen, dass alle Straßen ausschließlich weibliche Namen tragen. Warum? Die Geschichte schweigt dazu.

Die Einheimischen erzählen jedoch, dass vor langer Zeit, als das Dorf gerade erst bebaut wurde und die Straßen nur Nummern hatten, die Männer aus dem örtlichen Rathaus die Eröffnung der Gemeinde zu ausgelassen gefeiert hatten und sich auf dem Heimweg in der Dunkelheit verirrten. Am nächsten Morgen erwarteten sie wütende Ehefrauen und lautstarke Skandale. Die erbärmlichen Erklärungen, sie hätten „die Straßennummern verwechselt”, wurden nicht akzeptiert. Um ihre Schuld zu sühnen, versprachen die Männer, nie wieder den Weg nach Hause zu vergessen – und dafür würden die Straßen nach ihren Frauen benannt werden. So entstanden die Straßen Elsa-, Klara-, Herta-, Beata- und andere.

Die Bewohner der Nachbarviertel machten sich natürlich über die „Pantoffelhelden“ lustig und neckten sie auf jede erdenkliche Weise. Vielleicht wurde deshalb nach einiger Zeit beschlossen, die Geschlechtergerechtigkeit wiederherzustellen: Die neue Siedlung in derselben Gegend erhielt ausschließlich männliche Namen. So entstanden die Edgar-, Dietrich-, Lukas-, Norbertstraße und andere Straßen mit männlichen Namen.

Fast hundert Jahre nach diesen „toponymischen Schlachten“ entstanden in Alt-Hohenhausen vier neue Straßen, die männliche und weibliche Namen ausgleichen: zwei mit dem Buchstaben „A“ – Agnetta-weg und Anni-Frida-weg – und zwei mit dem Buchstaben „B“ – Bennyweg und Björnweg. Sie haben sicher schon erraten, dass diese Straßen nach dem beliebten schwedischen Quartett ABBA benannt sind. Damit war der Streit endlich beendet.